TCH_0959
Mensch & Verantwortung
Tchibo Stakeholder Dialog

Fairness in unfairen Zeiten - oder das Ende der Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit wird immer mehr zum "Mainstream" - glücklicherweise. Dennoch, machen wir uns nichts vor: Die Zustände in der Welt sind nicht immer und überall fair. Gerade das Thema existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie zeigt, wie komplex die Herausforderungen sind. Tchibo lud deshalb am 3. April in Berlin zu einer presseöffentlichen Dialogveranstaltung mit ausgewählten Vertretern ein: u.a. Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Joschka Fischer, Bundesaußenminister a.D., Dr. Frank Hoffer, Geschäftsführer der Initiative ACT für existenzsichernde Löhne, und die Fair Fashion Expertinnen Barbara Meier und Marie Nasemann.  

Rund 100 Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft kamen in die Alte Münze und trugen zu einer regen Diskussion bei. Der Zeitraum war richtig gewählt: Nur zwei Tage zuvor hatte das Auswärtige Amt zum „Kick-off“-Event geladen, um die nächste Phase bei der Umsetzung des „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) einzuleiten. Geplant ist seit längerem die Durchführung einer Befragung, die ermitteln soll, inwieweit sich deutsche Unternehmen im Ausland für den Schutz von Menschenrechten engagieren. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob für den Menschenrechtsschutz in der Wirtschaft eine Selbstverpflichtung der Unternehmen ausreicht – oder mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltspflicht nachgeholfen werden muss.

Eine Lösung gibt es bisher nicht: Vor allem das Wirtschaftsministerium will verhindern, dass den deutschen Unternehmen neue bürokratische Lasten entstehen, das Kanzleramt unterstützt seit Kurzem diese Linie – während sich parteiintern Bundesentwicklungsminister Gerd Müller gegen diese Entscheidung stellt und für ein Wertschöpfungskettengesetz plädiert – ein Thema, das den Abend während der Tchibo Veranstaltung bestimmen sollte. Es wurde deutlich, dass Freiwilligkeit im Hinblick auf nachhaltiges Verhalten von Unternehmen bisher nicht den gewünschten Effekt erzielt hat. Sowohl Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung bei Tchibo, als auch Caspar Dohmen, freier Journalist, der zahlreiche Reportage-Reisen zu unterschiedlichen Textilfabriken in Entwicklungs- und Schwellenländern unternommen hat, sagten deutlich, dass die heutigen Geschäftsmodelle nicht zusammenpassen würden: Es könne nicht angehen, dass die Unternehmen, die mit ihrem wirtschaftlich günstigen Modell viel Geld verdienten, auf gleicher Stufe wie jene Firmen stünden, die nachhaltig agierten. Regulierung müsse deshalb gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle herstellen (die ganze Rede von Nanda Bergstein finden Sie hier: Impulsvortrag Nanda Bergstein).

Panel 1: Schaffen wir es endlich, faire Löhne in der Textilindustrie durchzusetzen?

Bundesminister Müller merkte an, dass die Wirtschaft verstärkt Freiwilligkeit

fordere und dass die 50% der Unternehmen, die sich bereits im Textilbündnis engagierten, auch ein Erfolg seien. Aber Tchibo fordere zurecht: Es brauche Mindeststandards, um für alle Unternehmen faire Verhältnisse im Wettbewerb zu schaffen.Thomas Linemayr, Vorsitzender der Geschäftsführung Tchibo, fügte an, dass Innovation wichtig und gut sei. Wettbewerbsverzerrung stelle jedoch weiterhin ein großes Problem dar und bringe manche Unternehmen in eine bessere Position. Innovative Unternehmen wie Tchibo würden Unternehmen, die nicht mitmachten bei Bündnissen wie ACT für existenzsichernde Löhne, subventionieren. Der Druck des Konsumenten müsse deshalb größer werden. Dabei gelte es für vorbildliche Unternehmen als Leuchtturm zu agieren.

Nachhaltig zu handeln sei alternativlos. Jenny Holdcroft, Assistant General Secretary der Dachgewerkschaft IndustriALL, führte an, dass heutzutage keine Firma in der Welt sagen könne: unsere Lieferkette ist sauber. Führende Firmen sollten jedoch keine Nachteile davon haben, wenn sie fair handelten. Daher wolle man durch ACT bzw. mit IndustriALL einen neuen Standard kreieren, sodass jeder Kunde dazu gezwungen würde, die gleichen Preise zu zahlen.

Frage: Merkt man schon eine Bewusstseinsänderung bei junge Menschen hinsichtlich fairer Kleidung? Barbara Meier, Ex-Germanys next Topmodel, Schauspielerin und Nachhaltigkeitsbotschafterin, sagt: Ja, man könne einen Wechsel beobachten. In ihrer Jugend habe es noch kein Bewusstsein für "fair fashion" gegeben, das hätte sich grundlegend geändert. Ein Problem stelle in der jungen Generation allerdings Instagram dar, die Social Media Influencerinnen suggerierten dort, dass ein Outfit nur einmal getragen werde dürfe. Das erwecke bei  jungen Menschen den Eindruck, dass solch eine Schnelllebigkeit von Textilien Normalität sei. Oftmals siege heute noch das Wegwerfen.

Thomas Linemayr führte daraufhin an, dass für Tchibo als Familienunternehmen das Commitment zu Nachhaltigkeit einen der wichtigsten Werte darstelle. Man habe sich zu 100% auf Nachhaltigkeit eingeschworen. Unternehmerisches Handeln spiele auch weiterhin eine zentrale Rolle, aber das schließe sich keinesfalls nicht aus.

Dr. Frank Hoffer, Geschäftsführer ACT für existenzsichernde Löhne, fügte hinzu, dass die Zeiten von Kontrollen vor Ort in den Fabriken vorbei sein müssen. Man wisse ja was Sache sei, kenne die Zustände. Unternehmen, die am Markt (in den Ländern) extrem billig einkauften, würden ein großes Problem darstellen. Daher fordere er drei Formen der Regulierung: 1. Unternehmen sollten regelmäßig über die Zustände in ihren Produktionsfirmen und Lieferketten berichten müssen. 2. Es müsse verstärkt politische Anreize, etwa in Form von Steuervergünstigungen geben – für solche Unternehmen, die gute und faire Löhne zahlten. 3. Der deutsche Staat sollte verstärkt Verantwortung im Hinblick auf seine Aufträge übernehmen, wenn öffentliche Einrichtungen selbst Textilien bestellten (z.B. Krankenhäuser, Bundeswehr).

Caspar Dohmen, Journalist: Kein Hahn krähe danach, wie Dinge in China, z.B. wirklich hergestellt würden. Hauptsache man könne sich „individuell“ und hipp kleiden. Die Initiative ACT sei der richtige Ansatz. Denn nur wenn die Arbeiter vor Ort in die Lage versetzt werden, sich zusammenschließen und für faire Löhne kämpfen zu dürfen, könne sich etwas verändern.

Frank Hoffer, ACT, fügte hinzu: Wenn wir Entwicklung wollten, müsse mehr von der Wertschöpfung in den Produktionsländern verbleiben. Unternehmen sollten ihre Zulieferer ermutigen, dass ihre Mitarbeiter couragiert sein dürfen.

Panel 2: Fairer Handel, gemeinsame Verantwortung in bewegten Zeiten

Marie Nasemann, Ex-Germanys Topmodel, Schauspielerin und Bloggerin für fair fashion (fairknallt): Warum könne man nicht einfach für mehr Transparenz sorgen? Man sollte doch mehr Informationen am Produkte erhalten, wie die Kleidung produziert würde! Sie wünsche sich klare Labels für Textilien, ähnlich wie bei Lebensmitteln.

Joschka Fischer: "Der Staat kann Unternehmen nicht bestrafen – der Verbraucher ist hier gefragt. Und Informationspflichten, wer sich verantwortlich verhält - das ist gut und wichtig. Zudem: Die Bildung von Gewerkschaften muss zugelassen sein, das muss in den Vordergrund rücken. In China sind Gewerkschaften nicht erlaubt. Und kein Koalitionsrecht. Ich halte freien Handel für sehr wichtig – aber nicht durch Aufgabe der Menschenrechte und Koalitionsgebot. Die Verbraucher haben es in der Hand."

Gunther Beger, BMZ, Leiter der Abteilung für Grundsatzfragen, erwiderte: Die Politik setze auf die Marktmacht des Kunden. Das Bio-Siegel sei ein Erfolg. Nun solle der der "Grüne Knopf" als Siegel für faire Textilien eingeführt werden. Man brauche Grundstandards, die sichtbar für den Kunden seien, und die sagten, dass man dieses Produkt mit gutem Gewissen kaufen könne. Es sollte eine Bewegung werden – eine Bewegung von jungen Leuten, die für faire Textilien kämpften.

Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung Tchibo: "Ein Siegel allein reicht nicht, das ist ein extrem komplexes Thema. Wir brauchen einen Rahmen, der auf die richtigen Lösungen abzielt. Wir brauchen kein Gesetz, das nur zu mehr Zertifizierung und Auditierung führt. Wir können unsere Lieferketten verfolgen, aber Löhne werden immer ein Problem sein. Regulierungen brauchen wir, die systemische Lösungen mit sich bringen."

Joschka Fischer: "Die Gegenüberstellung Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ist ein großer Unsinn. Das darf nicht getrennt werden. In einer Marktwirtschaft haben Verbraucher die Macht. Bei Menschenrechtsverletzungen werden die Verbraucher aufwachen. Politik muss Initiativen, wie die von Tchibo unterstützen. Die Politik darf aber nicht die Unternehmen bestrafen, das muss der Verbraucher machen. Wenn man Unternehmen schaden will, soll man deren Wirtschaftlichkeit angehen und dieser schaden."

Gyde Jensen, MdB und Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte (FDP): "Ich stimme Herrn Fischer zu. Ein Markt, der frei von jeglichen Regeln ist, ist kein Markt, den die soziale Marktwirtschaft zulässt."

Nanda Bergstein: "Wir brauchen nicht mehr Versuche der Freiwilligkeit! Wir haben gesehen, dass dies nicht funktioniert. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Wir müssen uns mit neuen Methoden auseinandersetzen – wie bekommen wir mehr Regulierung und Verbindlichkeit?"

Marie Nasemann: "Auch sollten Schüler schon in der Schule die Hintergründe der Produktionsbedingungen von Mode und Kosmetik kennenlernen. Es gibt einen Wandel, da bin ich sehr optimistisch! Darum biete ich an, Touren durch Schulen zu machen und Schülern mehr über faire Kleidung beizubringen."

Wir von Tchibo fanden die Diskussion extrem spannend und ermutigend - und bedanken uns hier noch einmal bei allen Panel Teilnehmern und Gästen!