Kaffee & Leidenschaft

Gefährdete Kaffeepflanze?

Alles Kaffee: Gattungen, seltene Arten und Saaten. Welches sind die nahestehenden Familien der Kaffeepflanze? Ist die Pflanze - unser aller Lieblingsgetränk - gefährdet durch den Klimawandel und Co.? Wie genau bedrohen Klimawandel und Krankheiten einige bedeutende Anbaugebiete? Und was können wir tun, damit das Saatgut auch in hunderten von Jahren noch besteht? Ihr erfahrt, wie die Entwicklung und Sammlung widerstandsfähigerer Sorten auf Hochtouren läuft – und es wird geklärt, dass Gentechnik bei Kaffee keine Rolle spielt. Sind die Samen der Kaffeepflanze geeignet, in einer Saatguteinlagerung aufbewahrt zu werden? Darauf gibt uns Kaffee-Wissenschaftler Dr. Bytof im Interview Antworten.

Karina: Hallo Gerhard, es ist schon ein Weilchen her, dass wir zusammen in Berlin in einem Nachhaltigkeitskongress saßen und uns einen Vortrag zur Erhaltung gefährdeter Nutzpflanzenarten und -sorten angehört haben. Gleich darauf hatte ich in diesem Zusammenhang ein paar Fragen an Dich als unseren Tchibo Kaffee-Biologen. Du hattest ja ein paar Dinge erwähnt, die beim Kaffee sehr speziell und besonders sind. Da waren so viele spannende Details – perfekt für ein frisches Blog-Interview. Meine Eingangsfrage an Dich: Ist Kaffee eine gefährdete Art?

Dr. By: Tja, jetzt hast Du gleich eine Biologie-Fangfrage gestellt. Von einer gefährdeten Art kann man ja bei Kaffee nicht sprechen. Schließlich können unsere allseits geschätzten Kaffeebohnen von zwei verschiedenen Arten stammen, Coffea arabica (=Arabica) und Coffea canephora (= Robusta). Die zwei sind allein botanisch in etwa so verschieden, wie Äpfel und Birnen oder Pflaumen und Schlehen; hinzu kommen noch geschmackliche Unterschiede. Es müsste korrekt heißen: „Ist Kaffee eine gefährdete Gattung?“ Und dann würde man nur von Coffea sprechen und lässt den zweiten, den Artnamen (z.B. arabica) weg. Übrigens, wenn Dich über Art und Gattung hinaus weiter ausufernde Verwandtschaftsbeziehungen interessieren: Kaffeepflanzen werden als nächste Verwandtschaftsstufe zur Familie der Rötegewächse (Rubiaceae) gezählt. Damit sind sie eng verwandt mit unserem heimischen Waldmeister (Galium odoratum), wer hätte das gedacht? Nahestehende Familien sind dann Nachtschattengewächse, wie Tomaten und Kartoffeln.

Waldmeister vs. Kaffeebohnen

Karina:  Okay, Verwandtschaft, Gattung, Art und so weiter scheint geklärt – wobei: Waldmeister hätte ich jetzt weder geschmacklich noch vom Aussehen her mit Kaffee zusammengepackt. Aber so tief will ich jetzt gar nicht in die Botanik mit dir einsteigen. Wie sieht es nun mit der Gefährdung der Kaffeepflanzen aus?

Dr. By: Da komme ich jetzt dazu, denn es kommt schon auch darauf an, welche Arten man konkret innerhalb der Kaffee-Gattung anspricht, denn sie wird von so um die 120 verschiedenen Spezies vertreten. Fast alle stammen vom afrikanischen Kontinent, besonders viele aber seltene Arten gibt es auf Madagaskar. Und was die meisten davon angeht, so sind sie leider im Bestand hochgefährdet. Anders die beiden bekannteren, weil ja wirtschaftlich bedeutenden Arten, Arabica und Robusta: Sie sind vor ein paar hundert Jahren (okay, Robusta erst ab 1870) einen geradezu legendären „Siegeszug“[1] angetreten und werden heute – dank eifriger menschlicher Mithilfe - in über 50 tropischen Ländern rund um den Globus angebaut. Das mag daran liegen, dass die vorher genannten, weniger bekannten Vertreter der Gattung „Bohnen“ bzw. Samen hervorbringen, die meistens weder wohlschmeckend noch coffeinhaltig sind. Verständlicherweise hat es daher unter Kaffeefarmern eher wenig Motivation gegeben, diese Arten zu schützen, geschweige denn aktiv anzubauen.

Karina: Würdest Du also sagen, dass man sich um Arabica und Robusta und damit um unsere Tasse Kaffee heute keine Sorgen machen muss?

Dr. By: Nee, tatsächlich muss ich einräumen, dass auch bei Arabica und Robusta längst nicht alles im Reinen ist. Kaffeepflanzen haben jeweils ganz bestimmte artspezifische Ansprüche an das Klima, und der Klimawandel bedroht so einige bedeutende Anbaugebiete. In wissenschaftlich akribischen Modellrechnungen wurde erarbeitet, dass allein in Mittelamerika, einer für hochwertige Hochland-Arabicas bekannten Region, in den nächsten 30 Jahren klimakrisenbedingt bis zu 70 % der Anbaufläche verloren gehen werden[2]! Das wird auch Auswirkungen auf die weltweite Kaffeeproduktion haben. Zwar hat sich diese nach Zahlen der International Coffee Organisation (ICO) seit 2017 scheinbar stabil bei allzeit-hohen 167 bis 171 Mio. Säcke (à 60 kg) eingependelt, dieses Hoch täuscht jedoch über einige Naturgewalten hinweg. Nämlich dass es regional immer wieder Frosteinbrüche oder insgesamt ansteigende Temperaturen, ausbleibender Regen oder Überschwemmungen und Tropenstürme gibt und oft auf dem Fuße folgende Kaffee-Epidemien, wie der gefürchtete Kaffeerost (ein Pilz) oder Schadinsekten wie der Coffee Berry Borer (erinnert an Borkenkäfer), immer wieder für schlimme Ausfälle sorgen. Da hilft nicht wirklich, dass gerade der Arabica-Anbau sich züchtungshistorisch aus nur wenigen Einzelpflanzen ableitet (etwa eine einzige Vertreterin der Sorte Typica). Eine breitere genetische Basis, die für klimatische Eventualitäten resistente und resiliente Sorten in der Hinterhand hält, muss quasi im Nachhinein mit herangezüchtet werden. Die Entwicklung und Sammlung widerstandsfähigerer Sorten läuft daher auf Hochtouren – und bevor jemand fragt: Alles mit klassischen Methoden; Gentechnik spielt bei Kaffee keine Rolle.

links Kaffeerost (Quelle: World Coffee Research), rechts Coffee Berry Borer (Quelle: Hawaii Department of Agriculture, courtesy of Berkeley Lab)

Karina: Kommen wir zurück auf den Vortrag, den wir uns in Berlin angeschaut haben. Da war doch die Rede davon, dass für unsere bedeutenden Kulturpflanzen Saatmaterial wichtiger Sorten sicher eingelagert werden soll. Aber damals sagtest Du, für Kaffee sei das nicht so einfach?

Dr. By: Da erinnerst Du dich richtig. Klar wäre es gut, wenn wertvolles und aufwendig entwickeltes Kaffee-Saatmaterial geschützt aufbewahrt werden könnte. Hat doch mancher oder manche von fantastischen Stollen gehört, die genau hierfür etwa im norwegischen Spitzbergen eingerichtet wurden (Hier ein Beispiel). Im „Svalbard Global Seed Vault“, der größten Sammlung verfügbarer Saaten von Fruchtpflanzen der Welt, soll Platz sein für 4,5 Mio. Arten und Sorten verschiedener Kulturpflanzen. Nur nützt das den meisten tropischen und subtropischen Pflanzen herzlich wenig. Denn anders als bei „orthodoxen“ Arten, wie Mais, Bohne und Co., lässt sich die Lager- und Keimfähigkeit von Kaffeesamen, Kakaosamen etc. mit herkömmlichen Methoden, also durch Trocknen und/oder Kühlen, leider eben nicht verlängern. Im Gegenteil: Sie sterben oft sogar noch eher (wenn nicht gar sofort). „SamenbankerInnen“ - so nenne ich jetzt mal die Experten und Expertinnen für das Saatguteinlagern -  sprechen davon, dass solche Pflanzensamen  „rekalzitrant“ seien, sie widersetzen sich also quasi herkömmlichen Lagerungsmethoden - leider eben auch die Samen der Kaffeepflanzen. Man muss sich dementsprechend bei Kaffee und Co. wohl mit den kurzen Keimfristen abfinden und low-tech ganz klassisch turnusmäßig aussäen und nach 3-4 Jahren wieder ernten und wieder von vorn aussäen. Labortechnisch anspruchsvoller sind biotechnologische Methoden, wie Zell- und Organkulturen sowie somatische Embryogenese[3]. Das Schockgefrieren solcher Zellen in Flüssigstickstoff, wie wir es von menschlichen Samen und Eizellen her kennen (Cryopreservation), ist auch eine Möglichkeit zur Bewahrung. Diese scheint aber bei Kaffeezellen schwieriger zu sein als bei menschlichen Zellen - vor allem beim Wiederauftauen.

Wikipedia: Dag Endresen - http://sesto.nordgen.org/sesto/index.php?scp=ngb&thm=pictures&mod=det&id=004531

Karina: Das klingt alles sehr aufwendig und kompliziert. Deswegen eine andere Frage: Wird es denn andere Anbaugebiete für Kaffee geben? Es ist hier in Europa in den letzten Sommern ja wieder einmal verdammt warm geworden. Und da Hamburg ansonsten für Regenwetter verschrien ist … Kaffeeplantagen z.B. in Deutschland wird es trotzdem, wenn ich Dich nach dem Vortrag richtig verstanden hatte, noch lange nicht geben. Wieso nicht?

Dr. By: Nun, Arabica will es gar nicht soo heiß haben; er fühlt sich wohl bei durchgängigen Temperaturen um 25°C, mit nicht zu krassen Tag-/Nacht-Unterschieden. In unserem Wohnzimmer kommt Arabica als Topfpflanze ganz gut zurecht. Draußen jedoch hätte er gern jährliche Niederschläge von 1400 bis 2000 mm (Hamburger Schietwetter schafft gerade einmal die Hälfte) und in 6 von 12 Monaten im Jahr drohen bei uns draußen Temperaturen unter 5°C, was Arabica nicht verträgt (und Robusta schon gar nicht! Und Robusta will auch noch mehr Regen). Neue Anbauregionen wird es sicher auch geben, jedoch ist fraglich, ob sie die Verluste ersetzen können. Immerhin soll es bereits Versuche geben, Kaffee in Kalifornien anzubauen. Bis jetzt waren die USA nur für Plantagen auf Hawaii und Puerto Rico bekannt. Die nächste mir bekannte Arabica-Kaffeeplantage in Europa (nehmen wir hier einmal den Bestand des schönen Tropengewächshauses der Gesamthochschule Kassel in Witzenhausen aus) wäre meines Wissens auf Gran Canaria.

Karina: Wie sieht es denn bei anderen Kaffeearten aus, etwa Liberica oder Excelsa?

Dr. By: In den 1940ern wurde schon einmal versucht, den Liberica Kaffeeanbau auszuweiten (übrigens: Auch die häufig als „Excelsa“ bezeichnete Kaffeeart ist in Wahrheit eine Liberica). Ebenso wie Robusta sollte Liberica die zu erwartenden Temperaturanstiege besser ertragen als Arabica. Also: Könnte Liberica eine Klimakatastrophen-Alternative sein? Wohl eher nicht: Liberica enthält zwar etwa ebenso viel Coffein wie Arabica, jedoch soll sein Geschmack dramatisch schlechter sein (ich selbst habe Liberica noch nie gekostet). Dann dauert es auch noch doppelt so lange wie bei Arabica, bis ein Baum das erste Mal trägt, nämlich 8-10 Jahre, und schließlich ist Liberica gegenüber vielen Kaffeekrankheiten nicht etwa widerstandsfähiger, sondern noch weitaus empfindlicher als Arabica!

Karina: Gäbe es darüber hinaus noch andere Coffea-Hoffnungsträger?

Dr. By: Möglicherweise: Vor kurzem haben Forscher aus dem südenglischen Kew Gardens gemeldet, dass laut gut 100 Jahre alter und jetzt wieder entdeckter Aufzeichnungen die Bohne der Coffea stenophylla-Kaffeepflanze als trinkbar (und coffeinhaltig) gelten könnte. Nach abenteuerlicher Suche auf alten Kaffeefarmen Westafrikas gelang es Prof. Aaron Davis die leicht mit Robusta zu verwechselnde Stenophylla aufzuspüren. Das Team sammelte dazu eine genügende Menge Bohnen zur Analytik und für vergleichende sensorische Tests und erfreulicherweise wurde dabei das Stenophylla-Getränk einhellig als geschmacklich gut und durchaus nah am Arabica beschrieben[4]. Da die Pflanze ähnlich wie Arabica (und anders als Robusta) eine gewisse Trockenphase überstehen könne, aber eben höhere Durchschnittstemperaturen vertrage, wäre die wiederentdeckte Stenophylla möglicherweise tatsächlich für manche vom globalen Wandel gefährdete Kaffeeregionen eine Kaffee-Alternative. Hierfür sind aber noch einige Forschungsarbeiten und Praxistests notwendig. Und auch weitere, bisher unterschätzte Coffea-Arten werden übrigens von weiteren Teams dahingehend untersucht, z.B. der seltene, im Great Rift Valley heimische Nandi Coffee (Coffea eugenoides).

Bleibt zu hoffen, dass hieraus auch Lehren gezogen werden, die bisher kaum genutzten, aber hochgefährdeten Arten der Gattung Coffea besser zu schützen.

Karina: Diesem Schlusswort schließe ich mich gerne an und danke Dir für diesen informativen Ausflug in bisher wenig bekannte Kaffeewelten.


Quellen:

[1] In „Sage und Siegeszug des Kaffees“ beschrieb Heinrich Eduard Jacob die Verbreitung des Kaffeeanbaus rund um den Globus dem ursprünglichen äthiopischen Hochland (Coffea arabica) bzw. aus dem Zentralafrikanischem Tiefland (Coffea canephora = Robusta) schon in den 1930er Jahren wortgewaltig in seinem lesenswerten Klassiker (zu Recht wieder aufgelegt unter dem Titel: „Kaffee: die Biographie eines weltwirtschaftlichen Stoffes“).

[2] Baca, M., Läderach, P., Haggar, J., Schroth, G., & Ovalle, O. (2014). An integrated framework for assessing vulnerability to climate change and developing adaptation strategies for coffee growing families in Mesoamerica. PLoS ONE, 9(2), e88463.

[3]  auch das ist keine Gentechnik: unter sterilen Bedingungen und mit Hilfe von Phytohormonen werden Organ- und Zellhaufenkulturen (=Kalluskulturen) auf Agar oder Flüssigkulturen angelegt. Wiederum mit Phytohormonen können Zellen dazu angeregt werden, einen Embryo auszubilden, der sich zu einer normalen Pflanze entwickeln kann. Weil der Embryo nicht aus einer durch geschlechtlicher Befruchtung entstandenen Zygote entsteht, sondern im Grunde genommen aus Körperzellen, spricht man von somatisches Embryos (Soma griech. = Körper).

[4] Davis, A. P., Gargiulo, R., Fay, M. F., Sarmu, D., & Haggar, J. (2020). Lost and Found: Coffea stenophylla and C. affinis, the Forgotten Coffee Crop Species of West Africa. Frontiers in Plant Science, 11, 616-616. doi:10.3389/fpls.2020.00616

Davis, A. P., Mieulet, D., Moat, J., Sarmu, D., & Haggar, J. (2021). Arabica-like flavour in a heat-tolerant wild coffee species. Nature Plants, 7(4), 413-418. doi:10.1038/s41477-021-00891-4