ACT verändert Textilwirtschaft in Myanmar
Unsere T-Shirts, Schlafanzüge und Sporthosen werden zumeist von Lieferanten in China, Bangladesch oder Kambodscha hergestellt – und immer häufiger auch in Myanmar. Die Beschäftigten (meist Frauen) erhalten in der Regel gesetzliche Mindestlöhne. Diese sind aber oft so niedrig, dass das Einkommen nicht für den Unterhalt der ganzen Familie ausreicht. Im Rahmen der Initiative ACT sind für Myanmar nun zwei wichtige Übereinkünfte getroffen worden.
Nach acht Monaten Verhandlungen ist am 13. November ein Durchbruch gelungen. Für die Fabriken in Myanmar, die für ACT Marken produzieren, haben sich die Arbeitgeber und die größte Textilgewerkschaft IWFM, Mitglied des weltweiten Gewerkschaftsdachverbands IndustriALL Global Union, auf eine Richtlinie (Myanmar Freedom of Association Guideline) geeinigt. Tchibo war maßgeblich an der Unterstützung der Verhandlungen beteiligt.
Ziel der Richtlinie ist es, konstruktive Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitern sicherzustellen. Sie regelt detailliert das Recht auf Versammlungsfreiheit und wird künftig noch den Aspekt von Tarifverhandlungen und einen Schlichtungsmechanismus umfassen. Ausgangspunkt ist die aus Sicht der Gewerkschaft lückenhafte gesetzliche Regulierung dieser Gebiete in Myanmar, und die zunehmende Auseinandersetzungen um Gewerkschaftsfreiheit. Die Richtlinie ermöglicht den Arbeitern eine bessere Vertretung und eine Stimme, um Fragen rund um den Arbeitsplatz gemeinsam mit den Arbeitergebern zu lösen. Außerdem haben die Firmen, die bei ACT zusammengeschlossen sind und in Myanmar produzieren lassen, jetzt bei der letzten Mitgliederversammlung fünf Verpflichtungen bezüglich ihrer Einkaufspraktiken verabschiedet. Diese beziehen sich auf die essentiellen Bereiche:
- faire Bezahlung
- bessere Vorhersagen und Planung
- Trainings zu den Themen verantwortliche Beschaffung und Einkauf
- verantwortungsvolle Exit-Strategien
Textilindustrie in Myanmar wächst mit hoher Geschwindigkeit
Myanmar (früher Burma) hat eine lange Geschichte der Bekleidungsproduktion. Die ersten Textilfabriken wurden unter der britischen Regierung zwischen 1824 und 1948 erbaut. Nach 1988, als in Myanmar zum ersten Mal ausländische Investitionen erlaubt wurden, wuchs die Industrie deutlich. Die Anzahl der Bekleidungs- und Textilfabriken lag zu Beginn dieses Jahrhunderts bei 130, mittlerweile gibt es etwa 400. Diese bieten derzeit Beschäftigung für rund 350.000 Menschen. Der am schnellsten wachsende Exportmarkt für in Myanmar hergestellte Kleidung ist die Europäische Union.
Die burmesische Industrie ist in den letzten Jahren um jährlich 5 Prozent gewachsen. Doch Myanmar ist weiterhin eines der ärmsten Länder in Asien. Im Jahr 2014 lebten 26 Prozent der Einwohner unter der Armutsgrenze. Eine wachsende exportorientierte Textilindustrie kann eine Lösung für diese Lage darstellen. Allerdings gibt es in Myanmar die gleichen Probleme wie in Bangladesch und anderen kleidungsproduzierenden Ländern wie Kambodscha und Indien: niedrige Löhne, Arbeitswochen von mehr als 60 Stunden, Verletzung von Arbeitnehmerrechten sowie verbesserungswürdige Sicherheits- und Umweltstandards.
Deshalb arbeiten Gewerkschaften und 21 Marken und Händler aus Europa, den USA und Australien daran, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter in der Textilbranche existenzsichernde Löhne, also „Living Wages“, verdienen. Zu diesem Zweck wurde im Jahr 2016 die Initiative ACT (Action Collaboration Transformation) gegründet.
Als erstes deutsches Handelsunternehmen hat Tchibo im September 2016 eine Rahmenvereinbarung mit IndustriALL Global Union geschlossen. Beschäftigten und Gewerkschaften in den Produktionsstätten soll es ermöglicht werden, gute Arbeitsbedingungen mit Eigentümern und Management der Hersteller auszuhandeln. In der Initiative ACT setzen wir uns zudem gemeinschaftlich mit der Dachgewerkschaft und anderen internationalen Handelsunternehmen für existenzsichernde Löhne und industrieweite Tarifverhandlungen zwischen gleichberechtigten Sozialpartnern in der globalen Bekleidungsbranche ein.
In unsere Blogserie Menschenrechte (1), Dezember 2018, befragte ich Dr. Frank Hoffer und Nanda Bergstein zu ACT:
Dr. Frank Hoffer, ACT: „Unter den Bedingungen globaler Konkurrenz bedürfen existenzsichernde Löhne der Kooperation zwischen Unternehmen und der Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Der Ansatz von ACT basiert zum einen auf zu verhandelnden Flächentarifverträgen mit kontinuierlichen Lohnsteigerungen oberhalb der Inflationsrate und des Produktivitätszuwachses in den Produktionsländern. Für alle Arbeitgeber gelten damit dieselben Bedingungen auf dem Weg zu existenzsichernden Löhnen. Zum anderen verpflichten sich die ACT Mitgliedsunternehmen im Rahmen geänderter Einkaufspraktiken u.a. dazu, die höheren Lohnkosten in ihren Preisen zu berücksichtigen.“
„Diese Übereinkunft ist ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Nanda Bergstein, Director Corporate Responsibility bei Tchibo. „ACT ist die einzige Initiative weltweit, die echtes Potential hat, existenzsichernde Löhne langfristig und nachhaltig durchzusetzen – in Bangladesch, Kambodscha oder in Myanmar.“