Logistik-Notfallkonzepte in Zeiten von Corona
Dieses Interview mit Dr. Jan Schneider, Head of Logistics Operations, Tchibo GmbH, erschien am 2. April 2020 bei stores+shops, einer Plattform des EHI Retail Institute.
Herr Dr. Schneider, die Corona-Krise hat auch Auswirkungen auf die Lieferketten der Markenartikelindustrie. Inwieweit ist Ihr Unternehmen betroffen?
Jan Schneider: Zurzeit spüren wir die Folgen der Corona-Pandemie vor allem in der Beschaffung. Wir sind mit unseren Wochenwelten stark an die Einhaltung der geplanten Liefertermine gebunden. Somit stellt uns jede Verspätung vor besondere Herausforderungen. In den vergangenen Wochen kam dann erschwerend auf der Absatzseite die vorübergehende Schließung unser 1.000 Tchibo Filialen hinzu. Im Fernverkehr behindern stundenlange Staus insbesondere an einigen osteuropäischen Grenzen den flüssigen Güterverkehr. Zudem merken wir die zunehmend kritische Auslastung einiger KEP Dienstleister in Zeiten des E-Commerce-Wachstums in Form von verlängerten Zustellzeiten.
Welche vorausschauenden Maßnahmen sollte ein „Notfallkonzept“ aus Ihrer Sicht innerhalb der Handelslogistik grundsätzlich beinhalten, um eine durchgängige Lieferkette auch in unvorhersehbaren Krisenzeiten zu gewährleisten?
Jan Schneider: Kurzfristige Potenziale liegen in der Flexibilisierung der Lieferkette, wie die Umstellung des Transportträgers, Auswahl des Lagerstandorts zur Rüstung oder die Filialversorgung per Push oder Pull. Diese manuellen Eingriffe sind in der Regel arbeitsintensiv und nur eingeschränkt skalierbar. Reichen diese Sonderprozesse nicht aus, sind konkrete Maßnahmen für Artikelersatz erforderlich.
Kurzfristige Alternativprodukte können durch den Wiedereinsatz von Restmengen aus vorherigen Verkaufsphasen, Kooperationen oder selektives Nearshoring beschafft werden. Sobald es nicht mehr rein um die Warenversorgung geht, sondern konkrete Pandemiegefahr für Lager- und Verkaufsstandorte besteht, wird ein detailliertes betriebliches Kontinuitätsmanagement benötigt.
Welche zusätzlichen Maßnahmen wurden innerhalb der Logistik Ihres Unternehmens zur Bewältigung der aktuellen Situation getroffen?
Jan Schneider: Vom „business as usual“ sind wir derzeit ein gutes Stück entfernt. Die Vielzahl an möglichen Szenarien einer Beeinträchtigung unseres logistischen Netzwerks in Europa kann man nicht im Detail vorbereiten. Es ist wichtig, Panik zu vermeiden und stattdessen die Aktivitäten verschiedener Schnittstellen zu orchestrieren und klare Verantwortlichkeiten festzulegen. Für die intensivierten Abstimmungen im Tages- und Projektgeschäft nutzen wir noch mehr als bisher schon die neuen Medien, z. B. Teams und Skype Konferenzen sowie JIRA Projektpläne und digitale Kanban Boards. Aus jeder Krise erwachsen bekanntlich auch Chancen, wofür wir uns mit dem einzigartigen Tchibo Geschäftsmodell aus Filial-, Depot/Handels- und Online-Geschäft auch in der Logistik gut gerüstet sehen.
Das Interview führte Thomas Kempcke von stores+shops