Was man liebt, will man beschützen.
Saubere Strände, Wellen und Sonnenschein in St. Peter-Ording an der Nordseeküste. Herrlich! Haben wir eigentlich wirklich ein Plastikproblem in Deutschland? Mit dieser Frage nahm ich den Telefonhörer in die Hand und wählte die Nummer von Jennifer Timrott. Ich bin Marina, begeistert für Nachhaltigkeitsthemen und aktuell Praktikantin im Corporate Communications Team. Diese Woche hatte ich das Vergnügen Jennifer Timrott und ihre Arbeit besser kennenzulernen. Gemeinsam mit ihrem Mann, Frank Timrott, gründete sie 2014 aus lauter Frust den Verein „Küste gegen Plastik“.
Warum Frust? Das Ehepaar lebt schon lange an der Küste Norddeutschlands. Sie lieben das Meer und fertigen noch heute besondere Kunst aus Treibgut an. Am Strand fanden sie jedoch nicht nur Schönes, sondern oftmals auch Plastikflaschen, Abfallprodukte aus der Fischerei und Verpackungen aller Art. Plastikmüll stellt ein großes Problem für das marine Ökosystem dar und braucht teilweise hunderte Jahre bis zum vollständigen Abbau. Selbst, wenn es zu kleinen Teilen, so genanntem Mikroplastik zerfallen ist, stellt es noch eine Gefahr für Kleinstlebewesen und die weitere Nahrungskette dar.
Mit dem Glauben, dass viele Menschen ihre Liebe zum Meer teilen und es daher genauso schützen wollen, gründeten die Timrotts den Verein „Küste gegen Plastik“. Ihr Ziel: Auch andere, Unternehmen wie Konsumenten, für ein Leben mit weniger Plastik inspirieren und ermutigen, selbst aktiv zu werden. Heute startet das Ehepaar Beach CleanUps, engagiert sich in verschiedenen Arbeitsgruppen und hält Vorträge über die Plastikverschmutzung der Meere. Außerdem entwarfen sie die App „ReplacePlastic“ zur Reduzierung von Plastikverpackungen und starteten einen Andersmacher-Blog. In diesem Interview erzählt Jennifer Timrott mehr über das Plastik-Problem und wie wir dazu beitragen können es zu lösen.
Was macht den größten Teil des Mülls aus, der an Deutschen Stränden zu finden ist?
„Das ist schwer einzuschätzen. Aufgrund unserer Sammelerfahrungen, kann ich sagen, dass immer viele Plastikflaschen und Verpackungen aller Art dabei sind. An der Nordsee gibt es natürlich auch viel Fischerei – sehr lästig sind dabei die Dolly Ropes. Das ist ein Verschleißartikel, der genutzt wird, um die Fischernetze bei der Berührung mit dem Meeresboden vor dem Durchscheuern zu schützen. Nach einer gewissen Zeit sind diese Dolly Ropes abgenutzt und müssen ausgetauscht werden. Manchmal kann es vorkommen, dass sich die feinen Plastikfäden von selbst lösen. Leider ist diese Art von Müll für Vögel besonders gefährlich. Oft verheddern sich die Tiere in den Fäden und verenden elendig. Ich unterstelle den Fischern dabei keinen Vorsatz. Im Gegenteil – ich denke, dass den Fischern viel an den Meeres- und Landbewohnern liegt.“
Woher kommt der ganze Plastikmüll?
„Es mag zunächst einmal überraschend klingen, doch der größte Teil des Mülls im Meer wird vom Festland eingetragen. Geschätzt wird, dass es sich bei rund 80 Prozent der sich im Meer befindlichen Abfälle eigentlich um landseitige Einträge handelt. Ein Beispiel, das ich dazu gern auf Vorträgen erwähne, ist folgendes: Wenn ich in Köln meinen Kaffeebecher in die Landschaft werfe, kann er trotzdem in der Nordsee landen! Der Becher wird durch Wind und Wetter in den nächsten Fluss getragen und schließlich ins Meer gespült. Auch, wenn man den gelben Sack nach draußen stellt und beispielsweise Vögel daran picken, kann ein Teil des Mülls in naheliegende Gewässer wehen.“
Was ist das Ungewöhnlichste, das Sie bisher bei einem CleanUp gefunden haben?
„Einmal habe ich einen Margarine Deckel von Rama gefunden, den ich zuerst für eine Retro-Edition hielt. Aber später stellte sich heraus, dass diese Rama tatsächlich um 1972 hergestellt werden sein musste. Im Sand eingeschlossen halten sich solche Dinge noch länger, weil sie weder durch die Wasserbewegung noch durch das Sonnenlicht zersetzt werden.“
Ich habe das Gefühl, die Strände, an denen ich bisher war, waren recht sauber – ist das Problem wirklich so akut in Deutschland?
„An den touristischen Stränden bekommen die Leute das Problem häufig gar nicht unbedingt mit, weil die Gemeinden die Strände zu den Hauptzeiten meistens maschinell reinigen. Die Touristen sollen sich ja auch wohl fühlen. Deshalb ist der Strand im Sommer kaum verschmutzt. Wenn wir im Winter zum Sammeln losziehen und Menschen Bilder auf Social-Media sehen, sind sie oft geschockt und verstehen erst dann das Problem. Denn zur Winterzeit findet man deutlich mehr Plastikmüll an den Stränden. Bei höherem Wasser kann man die Verschmutzung auch jetzt im Sommer bemerken. Denn: Wo Wasser ist, kommt Plastik an!“
Viele Familien fahren zu dieser Zeit in den Urlaub. Wie können wir nebenbei das Plastikproblem reduzieren und was sollten wir beachten?
„Bei allem was einem vor die Füße fällt - aufheben. Das ist eine große Hilfe. Und: Neugierig sein! Zum Beispiel auf das Ablaufdatum. Es ist oft ganz interessant darauf zu achten, weil viele Dinge schon vor langer Zeit abgelaufen sind oder die Sprache eine ausländische ist. Öfter finden wir auch Verpackungen aus Asien.
An Sammelaktionen teilzunehmen sensibilisiert zudem. Denn es macht eben einen Unterschied, ob man es in der Hand hat oder im Fernsehen Bilder sieht. Viel Plastik findet sich an abgelegenen Teilen der Küste. Bis August sollte man diese Orte allerdings nicht betreten, weil die Brutvögel gestört werden könnten. Stattdessen kann aber gerne in touristischen Bereichen des Strandes Plastik gesammelt werden. Schon Kleinigkeiten aufzuheben, kann ansteckend sein! Während unserer Sammelaktionen ist das schon häufiger passiert. Wenn wir mit unseren Müllsäcken kommen und Spaziergänger uns aus der Ferne entdecken, fangen sie oft auch an zu sammeln und werfen den Müll in unsere Müllsäcke. In dem Moment hat man das Thema in den Köpfen der Menschen platziert.“ *
(*Außerdem: Studien (1) belegen je vermüllter eine Umgebung ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass auch andere Mitmenschen ihren Müll dort hinterlassen. Halten wir unsere Umgebung hingegen sauber oder entsorgen sogar fremden Müll, wirkt das quasi ansteckend und andere Menschen haben eher das Bedürfnis den Ort Müll-frei zu halten. Also auf geht’s!)
Durch die Beach CleanUp Aktionen hat Küste gegen Plastik schon viele Menschen erreicht. Aber damit nicht genug: vor zwei Jahren konzipierten sie die App ReplacePlastic. Die Nutzer*innen die Möglichkeit eröffnet, die Barcodes von Produkten zu scannen und anschließend eine Mitteilung an die Hersteller bzw. Anbieter sendet, dass sie sich eine umweltfreundlichere Verpackung wünschen. Bis heute, gab es bereits über 1.450.000 Einsendungen sowie ca. 75.000 E-Mails, die an Unternehmen über die App versendet wurden.
Frau Timrott, Ihre App ist schon super bei den Konsumierenden angekommen - bekommen Sie immer noch 1000 Anfragen am Tag über ReplacePlastic?
„Vor Corona haben wir täglich sogar 2000- 3000 Anfragen über die App erhalten. Während der Corona-Zeit haben sich auch Dinge für uns verändert. Der Fokus der Menschen liegt woanders. So erklären wir uns die zurückgegangenen Zahlen. Momentan bekommen wir trotzdem noch 500 bis 1000 Anfragen pro Tag.“
Das klingt nach ganz schön viel Arbeit. Werden die Anfragen automatisch beantwortet?
„Ja, die Emails werden automatisch erzeugt. Neue Produkte sind etwas aufwendiger, die müssen wir auch erst mal in die Datenbank einpflegen.“
Und wer macht das? Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Sie lacht, „wir sind 2 Leute – mein Mann und ich“.
Wow! Meinen Respekt.
„Ja, wir überlegen uns irgendwann zu vergrößern, aber momentan läuft es gut! Am Anfang war es schon holprig, die App zu entwickeln. Mittlerweile sind wir sehr zufrieden.“
Noch dieses Jahr plant das Paar zwei Neuerungen in die App einzubringen. Sie wollen während des Scan-Prozesses, falls vorhanden, eine verpackungsfreiere Alternative anbieten, um damit einen Sog für nachhaltige Verpackungen auf Unternehmensseite zu erzeugen. Das zweite neue Feature soll einen Mechanismus schaffen, der den Handel auf Produkte mit umweltfreundlicheren Verpackungen aufmerksam macht. Denn viele Kunden fragen sich: Warum gibt es keine Alternativen bei meinem Supermarkt? Gleichzeitig ist es für viele nachhaltige Start-Ups schwierig, überhaupt in die Regale der Supermarktketten zu gelangen. Durch das geplante Feature werden lokale Supermärkte über die Kundenwünsche informiert. „Die neuen Ideen sind bereits konzipiert und in der technischen Entwicklung. Insofern sind wir gut beschäftigt“, erklärt Jennifer Timrott.
Der Anfang ist geschafft: Es gibt bereits einen Denkwandel in unserer Gesellschaft. „Wir merken, dass das Bewusstsein für das Plastikproblem sogar sehr stark ist“, erzählt Jennifer Timrott. Auch wenn das Thema schon lange in den Medien präsent ist: „Die Aufmerksamkeit für das Thema bleibt. Die Auswirkungen sind mittlerweile so deutlich, ähnlich wie beim Klimawandel, dass wir uns damit beschäftigen müssen.“
Zu guter Letzt zu uns: Ihr wünscht Euch weniger Plastikverpackungen bei Tchibo
Auch Tchibo hat eine Anfrage über ReplacePlastic von Kundinnen und Kunden erreicht. Dabei habt Ihr die Kunststoffverpackungen für Kaffee sowie Bekleidung bemängelt. Unser letzter Meilenstein zum Thema Plastikreduktion wurde im vergangenen April erreicht.
Eine neue und stark materialreduzierte Pappbanderole ersetzt seitdem die Plastikbeutel für Tchibo Textilien. Zeitweise finden sich trotzdem noch einige Textilien in Plastikverpackungen. Das ist so, weil diese Produkte vor unserer Verpackungserneuerung versiegelt wurden und jetzt erst angeboten werden. Zudem behalten wir uns vor, manchmal Ausnahmen zu machen, wenn ein Artikel besonders schmutzempfindlich ist. Denn auch wenn wir uns zum Ziel gesetzt haben 100 % nachhaltig zu wirtschaften, wollen wir Euch dabei noch die beste Qualität bieten. Zum Kaffee: Bisher ist es uns noch nicht gelungen, den Kaffee plastikfrei zu verpacken und gleichzeitig seine wertvollen Aromen zu erhalten. Es gibt allerdings die Möglichkeit eine eigene Dose mit in eine unserer Tchibo Shops zu bringen und diese vor Ort befüllen zu lassen. In allen Filialen sind unsere Tchibo Privat Kaffees, Schätze der Natur, Blonde Roast und der Bio Kaffee als lose Ware erhältlich. So spart Ihr die Transportverpackung ein!
Wir wissen: wir haben noch viel zu tun. Aber: wir haben uns auf den Weg gemacht.
(1) Keizer K, Lindenberg S, Steg L (2013) The Importance of Demonstratively Restoring Order.
Bilder: Jennifer Timrott
von Marina Vogel