Mensch & Verantwortung
Neue Kaschmir-Zertifizierung

Mehr Schutz für die Kaschmirziege – und den Verbraucher

Habt ihr Euch schon einmal Gedanken über euern Kaschmirpullover gemacht? Der so kuschlig weich ist? Und von Ziegen stammt, nicht von Schafen! Meist aus der Inneren Mongolei. Mehr Tierwohl, mehr Umweltschutz, bessere Sozialstandards: Mit diesen Zielen hat die Aid by Trade Foundation im Jahr 2019 einen neuen Standard für nachhaltige Kaschmirwolle entwickelt und 2020 offiziell vorgestellt. Mehr Transparenz – das können wir nur unterstützen. Ich habe mit Tina Stridde, Geschäftsführerin der Aid by Trade Foundation und Manuela Schiffer, unserer Textil-Siegel-Expertin, gesprochen – über Ziegen, Haare, Haltungsformen, Trackingsysteme und wie man so einen Siegel-Standard überhaupt einführt.

Kaschmir – das ist für die meisten von uns erstmal wertvolle, weiche Wolle. Was muss man noch zu dem Material und deren Herstellung wissen?

Tina Stridde: Zum Beispiel, dass Kaschmir von Ziegen kommt, nicht von Schafen – und dass man von Haaren spricht, nicht von Wolle. Wichtige Produzentenländer sind hauptsächlich China, die Innere Mongolei (autonome Region in Nordchina), sowie die Mongolei, Afghanistan und Iran. Und man unterscheidet zwei Haltungsformen: die nomadische Haltung, bei der die Hirten mit ihren Ziegen umherziehen. Und die Farmhaltung, bei der die Ziegen in Paddocks oder eingezäunten Weiden gehalten werden. So ist es zum Beispiel Gesetz in der Inneren Mongolei. Wo Nomaden mit ihren Tieren frei herumziehen, können die Tiere das Grasland auf dem sie weiden erheblich schädigen, denn sie fressen das Gras mit den Wurzeln. In Folge der gestiegenen Nachfrage nach Kaschmir, werden immer mehr Kaschmirziegen gehalten – und das kann zu massiver Überweidung und daraus resultierend zu Umweltproblemen führen. Zum anderen ist das Auskämmen der Tiere immer wieder ein Thema für den Tierschutz.

Michaela Kuhn.

Manuela Schiffer: Kaschmir wird häufig mit künstlichen Fasern gemischt, so dass nur noch ein geringer Anteil Kaschmir im Produkt enthalten ist. Wir lassen aus diesem Grund jedes Produkt durch ein unabhängiges Institut überprüfen. Auch das ist ein Grund, warum es dringend einen Kaschmirstandard braucht.

Erdos Cashmere Group.

Es gibt viel Bedarf für einen Kaschmirstandard, aber wie entwickelt man so etwas eigentlich?

Tina Stridde: Unsere Expert*innen waren bereits einmal vor Ort in der Inneren Mongolei, um sich einen Überblick zu verschaffen. Wir haben uns mit Produzent*innen und Bauern getroffen, viele unterschiedliche Farmtypen angeschaut. Dann hat eine Tierwohlexpertin die Kriterien im Bereich Tierschschutz entwickelt. Uns war von Anfang an klar, dass The Good Cashmere Standard® by AbTF ein Dreiklang aus Tierwohl-, Umwelt- und sozialen Aspekten sein soll. Entsprechend haben wir eine erste Fassung des Standards entwickelt – und sind damit im Gepäck noch einmal bei den Produzent*innen vor Ort gewesen. Ihr Feedback ist in die aktuelle Fassung eingeflossen, genau wie das Feedback aus dem offiziellen Konsultationsprozess, der für einen solchen Standard vorgeschrieben ist. D.h. der Text war öffentlich auf unserer Website für jedermann einseh- und kommmentierbar. Wir haben ja schon eine sehr lange Expertise in der Entwicklung von Standards für nachhaltige Rohstoffe, das hat uns natürlich geholfen. Alleine mit dem Baumwollstandard Cotton made in Africa beschäftigen wir uns schon 16 Jahre!

Die spannende Frage ist dann natürlich, wie die Einhaltung des Standards überprüft wird, wie oft und bei wem?

Tina Stridde: Im Januar 2020 haben wir mit den sogenannten Verifizierungen begonnen. Wir haben ein unabhängiges Unternehmen beauftragt, welches für uns einmal im Jahr die Überprüfungen durchzuführt. Produzent*innen, also diejenigen, die das Rohkaschmir kaufen, nominieren Farmer*innen und die so genannten Buying Stations, die überprüft werden sollen. Jeder Farmer und jede Buying-Station muss eine Selbstauskunft abgeben, anschließend wird über Stichproben die Umsetzung vor Ort von Auditoren überprüft, die sich vor Ort ein Bild machen. Die schauen nach den Ziegen, den Mitarbeiter*innen, dem gesamten Farmsystem. Dieser Prozess startet jedes Jahr neu. Bauern und Produzent*innen erhalten nur dann eine Zertifizierung, wenn sie sich nachprüfbar an die Kriterien des Standards halten. Zukünftig planen wir die Besuche der Auditoren zu unterschiedlichen Jahreszeiten: Wir wollen möglichst viele verschiedene Zyklen verfolgen – von der Geburt über das Scheren/Kämmen, aber auch den Winter, um zu sehen, wie die Ziegen untergebracht werden.  

ELEVATE.

Und dann kommen Unternehmen wie Tchibo ins Spiel. Wie läuft das – und ab wann wird es bei uns zertifiziertes Kaschmir geben?

Manuela Schiffer: Wir können ab Herbst (2021) erstmalig zusätzlich zu unseren recycelten Kaschmirprodukten die ersten GCS Produkte anbieten. Da wir den Standard das erste Mal nutzen, müssen wir unsere Lieferketten und Einkaufsprozesse mit den Anforderungen vertraut machen. Das Ziel des Standards ist es, die gesamten Kaschmirmengen zurückverfolgen zu können. Dazu wird ein sogenanntes Trackingsystem genutzt. Ergänzend werden Label am Produkt angebracht, welche nur für die eingekauften Mengen von AbTF freigegeben werden. Damit wird verhindert, dass mehr Kaschmir in Umlauf gebracht wird als eingekauft wurde.

Grundsätzlich setzen wir Tierhaar aber nur da ein, wo es maßgeblich zur Qualität des Produktes beiträgt – das ist bei Kaschmir der Fall. Dennoch versuchen wir den Anteil an recycelten Kaschmir, besonders in Mischprodukten, zu erhöhen, um hier weniger Nachfrage zu generieren und die Auswirkungen auf das Ökosystem und die Tierhaltung zu reduzieren.

Tina Stridde: Wie Tchibo kaufen Internationale Einzelhandelsunternehmen und Modemarken die zertifizierte Kaschmirwolle zu Weltmarktpreisen gegen eine Lizenz- und eine Partnerschaftsgebühr ein und lassen den Rohstoff in allen wichtigen Textilproduktionsmärkten weiterverarbeiten. Die Einnahmen aus den Gebühren reinvestieren wir: Denn unser langfristiges Ziel ist Veränderung – nicht nur ein Abprüfen des Status Quo. Wir wollen Wissen vermitteln sowie neue Methoden einführen. Manche Dinge lassen sich schnell und leicht ändern, andere verlangen größere Investitionen. Das sehen wir zum Beispiel bei den Ställen: Ziegen brauchen ausreichend große Ställe, wenn es z.B. sehr nass ist, aber auch, wenn es nach der Schur sehr heiß ist, da sie sonst Sonnenbrand bekommen.  

Erdos Cashmere Group.

Es gibt Verbesserungspotenzial, dass sehen auch die Farmer*innen. Sie wissen, dass nachhaltig produziertes Kaschmir ihre Zukunft sichert, auch die ihrer Kinder. Wir waren sehr beeindruckt, wie viele sofort begeistert davon waren, dass es den Standard jetzt gibt! 

Tina, Manuela, Danke für das Gespräch!